Seit November begleitet Radek Novotný als neuer Headcoach das österreichische Orientierungslauf-Eliteteam. Der studierte Systemanalyst und WM-Gold-Coach des tschechischen Teams im Interview über Motivation, Navigation und Heuristik.
Warum hast du dich für den Trainer-Job in Österreich beworben?
Radek Novotný: Es ist eine Herausforderung für mich und bietet mir die Möglichkeit, meine Erfahrung und Kompetenz einzusetzen – außerdem macht mir der Trainer-Job viel Spaß!
Hat dich Team Österreich bei der WM 2021 in Doksy mit seiner mannschaftlich starken Leistung überrascht?
Novotný: Naja, vor allem alle 6 bis ins Mittelfinale war eine schöne Leistung, aber ganz ehrlich – ich glaube, es gibt ein Potenzial, in Zukunft noch besser zu werden! Die ersten 6 Plätze zählen.
Wie gut schafft es Österreich, aus einer (relativ) kleinen Breite doch eine Spitze mit international beachtlichen Ergebnissen zu „generieren“?
Novotný: Ja, ein gut funktionierendes Nationalteam und die wertvolle Unterstützung durch das österreichische Bundesheer schaffen ein stabiles Umfeld, in dem sich die Athleten entwickeln können. Das ist auf jeden Fall ein Vorteil im Vergleich zu vielen anderen Orientierungslaufverbänden von ungefähr gleicher Größe. Dennoch gibt es Verbesserungsmöglichkeiten, um eine noch effektivere Aufstellung im Hinblick auf das ultimative Ziel für das Nationalteam zu erreichen – nämlich Spitzenergebnisse zu liefern und um Medaillen zu kämpfen.
Wo gehört Österreich im Ranking der Nationen hin? Mit welchen Ländern darf, kann und muss sich Österreich vergleichen? Welche Länder sind Vorbilder?
Novotný: Vielleicht bin ich jetzt zu optimistisch, aber ich habe in letzter Zeit so viele motivierte junge Sportlerinnen und Sportler getroffen, dass ich sagen würde, Österreich sollte es wagen, groß zu denken. Und das ist auch eine Grundvoraussetzung, um Spitzenergebnisse zu erreichen.
Was ist deine Orientierungslauf-Philosophie?
Novotný: Orientierungslauf ist ein Vergnügen. Bei der Navigation geht es darum, Lösungen zu finden und umzusetzen. Nur Sitzungen mit ausreichender Fokussierung können den Nutzen bringen. Bei der Qualität geht es um Details, nicht um Zahlen.
Was sind deine Eindrücke nach den ersten gemeinsamen Kaderaktivitäten?
Novotný: Tolle Leute, viel Motivation, vor allem ein guter systematischer Ansatz für die Laufentwicklung. Definitiv viel Raum, um bessere Orientierungsläufer zu werden, sowohl was die Navigation als auch die spezifischen Lauffähigkeiten betrifft.
Welches Potential steckt im Team?
Novotný: Eine stabile Top-6 bis Top-8-Mannschaft in der Orientierungslaufwelt, mit einigen Spitzenleuten, die in den Staffelwettbewerben um Podiumsplätze mitkämpfen.
Wie gut hat das Team zuletzt in Portugal gearbeitet?
Novotný: Die Eindrücke sind positiv – unsere Gruppe in Portugal bestand hauptsächlich aus jüngeren Teamläufern, die eifrig sind, sich verbessern wollen und hungrig sind nach gutem Orientierungslauf. Auch das gemeinsame Training mit dem Juniorenteam war von Vorteil, weil der Lerneffekt groß ist. Ganz zu schweigen von der verlockenden Möglichkeit, sich bei Staffelläufen oder ultrakurzen SI-Rennen mit dem Elite-Team zu vergleichen. Ich freue mich schon auf das Camp vor Ostern in Ungarn, wo wir wieder alle zusammen sind.
Welche Erfahrungen habt ihr mit den neuen GPS-Tracking-Tools gemacht?
Novotný: Wir verwenden es im tschechischen Team seit 2015 und ich bin sehr froh, dass wir es jetzt auch in Österreich einsetzen können, denn die Vorteile sind enorm. Generell bringt es mehr Ernsthaftigkeit in unsere Orientierungsläufe, was den Grundprinzipien der Verbesserung der Navigationskapazität entspricht. Die Läuferinnen und Läufer werden stärker zu einer fehlerfreien Navigation angeregt. Sie können auch ihre Lösungen mit denen der anderen vergleichen, die Technologie bringt sie zurück zu den Karten, zurück zu einer gründlicheren Bewertung. Das gesamte Team gewinnt an Heuristik (Anm.: Heuristik bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen), interessante Situationen können ausgewählt, analysiert und kommentiert werden. Die Trainer können das Verhalten der Athleten sehen, in vielen Fällen ist sogar klar, wo die Läufer gezögert haben oder wo der Plan klar und gut umgesetzt wurde. Nicht zuletzt werden die Athleten mental daran gewöhnt, die Ausrüstung zu tragen und beobachtet zu werden, genau wie bei jedem einzelnen internationalen Wettkampf heutzutage. Es ist auf jeden Fall ratsam, das System auch bei nationalen Wettkämpfen in Österreich einzusetzen, wo die gesamte österreichische OL-Gemeinschaft davon profitieren könnte.
Wirst du auch bei österreichischen Staatsmeisterschaften dabei sein?
Novotný: Leider nicht in diesem Jahr. Der Zeitplan mit dem Nationalteam ist ziemlich eng, und ich habe bereits viel mehr Reisetage, als ich im Hinblick auf mein Teilzeit-Engagement erwartet hatte.
Wo sind die Österreicherinnen näher an der Weltspitze dran, läuferisch oder o-technisch?
Novotný: Jetzt ist es noch zu früh für mich, diese Frage zu beantworten. Spitzenergebnisse werden in der Regel von engagierten Einzelpersonen wie Ursula Fesselhof, Gernot Ymsén, Robert Merl, usw. erzielt, und die Mischung der Fähigkeiten unterscheidet sich von Person zu Person. Bis jetzt würde ich sagen, dass die Österreicher in Bezug auf die systematische Herangehensweise an das Training und in vielen Fällen auch in Bezug auf die Bedingungen mit der Weltspitze gleichziehen. Die Herausforderung besteht darin, daraus echte Orientierungsläuferinnen und Orientierungsläufer hervorzubringen. Um dies zu erreichen, wären vielleicht auf niedrigeren Ebenen als im Nationalteam einige Änderungen des Ansatzes wünschenswert.
Was sind die wichtigsten Faktoren, um das Team Austria noch stärker zu machen?
Novotný: Bewegen wir die Denkweise der Navigation in Richtung einer offensiveren, aktiven Navigation, die dann auch stabiler ist und den gewünschten Flow bringt. Darauf aufbauend sollten wir anfangen, höher zu zielen, denn das bestimmt das Vorgehen in der täglichen Vorbereitung. Ich habe auch den Verdacht, dass Laufökonomie in unwegsamem Gelände ein Thema sein könnte.
Was ist sind deine Ziele mit dem österreichischen Team?
Novotný (lacht): Meiner Erfahrung nach machen Staffelmedaillen einfach Spaß!
Hast du eine Vision?
Novotný: Ich muss zugeben, dass ich mit langfristigen Visionen nicht so gut ausgestattet bin. Für mich würde das lateinische Motto „carpe diem“, also „nutze den Tag“ vielleicht besser passen. Meine Familie steht auf jeden Fall ganz oben auf meiner persönlichen Liste, das ist sicher. Auch die Freiheit ist etwas, das ich sehr schätze –derzeit sind meine Gedanken viel bei den Ukrainern! Sláva Ukrajině!
ZUR PERSON
Radek Novotný ist seit 15. November 2021 neuer Headcoach des Orientierungslauf-Eliteteams. Novotný ist 47 Jahre alt und lebt mit seiner Familie in Hradec Králové in Tschechien. Er ist studierter Systemanalyst. Analytische Denken begleite ihn auch bei seiner Arbeit im Orientierungslauf. Von 2002 bis 2018 war er Headcoach des tschechischen OL-Nationalteams, mit großem Erfolg – 2012 wurde sein Einsatz mit der Goldmedaille für das tschechische Herren-Staffel-Team bei der WM in der Schweiz belohnt. Radek Novotný war in die Organisation der WOC 2021 in Tschechien eingebunden. Er organisiert Orientierungslauf-Trainings und zeichnet OL-Karten.