Wenn Johannes Ludescher über seine letzten Monate spricht, schwingt Ehrlichkeit mit – und ein guter Schuss Selbstreflexion. Der 32-jährige Vorarlberger blickt auf eine Ring-EM zurück, die wie eine Sinus-Kurve verlaufen ist. „Erster Kampf gut, zweiter Kampf schlecht“, fasst er nüchtern zusammen. „Am meisten ärgert mich, dass es nicht mit der Hoffnungsrunde geklappt hat. Ich wäre so gern noch einmal auf die Matte gegangen.“
Doch wer glaubt, dass sich Ludescher lange mit verpassten Chancen aufhält, kennt ihn schlecht. Vielmehr blickt er nach vorne – oder besser gesagt: über den großen Teich. Zwei längere Aufenthalte in den USA prägten sein vergangenes Jahr und brachten frischen Wind in seine Karriere. „Ich war fast fünf Wochen und dann nochmal drei Wochen in Michigan. Das hat mir brutal gutgetan“, erzählt er mit spürbarer Begeisterung.
Allein unter Schwergewichten
Der Hauptgrund für seine Amerika-Reisen war simpel, aber entscheidend: Trainingspartner. „In Österreich gibt’s einfach nicht viele Schwere“, erklärt der leidenschaftliche Ringer aus Vorarlberg. „Daheim fehlt mir oft jemand in meiner Gewichtsklasse.“ In den USA fand Ludescher genau das – starke Gegner im Training, die ihn forderten und förderten. Doch es war nicht nur die physische Herausforderung, die ihn weiterbrachte.
„Das war das erste Mal, dass ich komplett allein auf ein Trainingslager gegangen bin. Kein Trainer, kein Team – nur ich und die Matte.“ Eine Erfahrung, die ihn nicht nur sportlich, sondern auch menschlich wachsen ließ. „Man lernt, mehr auf das eigene Gefühl zu hören. Wenn der Trainer nicht gleich eine Lösung parat hat, bist du gezwungen, selbst zu denken.“
Angriff ist die beste Verteidigung
Besonders an seiner größten Schwäche hat Ludescher in den Staaten gefeilt: dem Angriff. „In Michigan wirst du regelrecht gedrillt – Angriff, Angriff, Angriff“, lacht er. Eine Umstellung, die leichter klingt, als sie ist. „Es ist unglaublich schwer, Muster zu durchbrechen, die man sich über Jahre antrainiert hat. Im Training klappt’s oft schnell, aber unter Stress fällst du wieder in alte Gewohnheiten zurück.“
Doch Ludescher wäre nicht Ludescher, wenn er sich davon entmutigen ließe. Der Plan für die Zukunft steht: Mehr solcher Solo-Trainingsreisen, mehr Eigenverantwortung – und der Fokus auf die Weltmeisterschaft im September. „Gerade ist mal Pause, Kopf abschalten. Aber dann geht’s wieder Richtung Großereignis“, sagt er gelassen.

Zwischen Bundesheer-Druck und Plan B
Ein weiteres Thema, das ihn im letzten Jahr begleitete: der Druck vom Bundesheer. „Es gab eine klare Ansage: Entweder kommen Ergebnisse oder das war’s“, erzählt Ludescher offen. Existenzängste? Fehlanzeige. „Ich habe Mechatronik studiert, könnte jederzeit arbeiten gehen.“ Dennoch weiß er, wie sehr Athleten auf Strukturen wie Bundesheer, Polizei oder Zoll etc. angewiesen sind. „Ohne das geht’s als Ringer nicht. Du brauchst einfach eine finanzielle Basis. Nur dann kannst du dich als Sportler entfalten.“
Österreichs Ringer: Stark, aber der Weg ist hart
Wie sieht er den Ringsport in Österreich? „Ich glaube, wir sind in der Spitze so gut wie lange nicht. Es gibt einige, die internationale Kämpfe gewinnen können.“ Sorgen um den Nachwuchs macht er sich nur bedingt. „Wir haben im Verband eine coole Gruppe von 17- bis 20-Jährigen. Aber der Sprung von der Nachwuchs- zur Männerklasse ist brutal hart.“
Die Liebe zum härtesten Sport
Warum tut man sich das alles an? Warum Ringen – dieser fordernde, oft undankbare Sport? Der 32-Jährige muss nicht lange überlegen: „Weil du alles brauchst. Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Technik, Taktik und ein verdammt starkes Mindset.“ Für ihn ist klar: „Ich kenne keine Sportart, die vielseitiger ist.“
Mit 32 sieht sich der Schwergewichtler fitter denn je. „Körperlich geht’s mir top. Je schwerer das Gewicht, desto länger kann man auf hohem Niveau ringen.“ Ob die Olympischen Spiele LA 2028 noch ein Thema ist? „Ich schaue von Jahr zu Jahr“, sagt er diplomatisch – doch ein bisschen klingt es so, als hätte er die Ringe doch noch im Hinterkopf.
Kraft tanken daheim
Und wenn der Kopf mal frei werden muss? Dann zieht es den Vorarlberger in die Berge, rund ums Elternhaus. „Das ist mein Platz zum Abschalten.“ Dort sammelt er die Energie, die er auf der Matte braucht – für Angriffe, für neue Herausforderungen und für den Kampf gegen sich selbst.