29. MAI – 2. JUNI IN INNS­BRUCK/TIROL

„Mit jeder Faser meines Körpers“

Für die 28-jährige in Niederösterreich lebende Yael Yvon (Kategorie -60 Kilogramm) ist Kickboxen nicht nur ein Sport. In einem ausführlichen Interview erzählt sie, wie sie ihre Sportart für sich entdeckt hat, warum es sich lohnt für seine Leidenschaft zu kämpfen und wie ihr Sohn den Blick verändert hat.

Kickboxen hat in den letzten Jahren in Österreich einen Aufschwung erlebt, aber dennoch sind immer noch gewisse Vorurteile in der Allgemeinheit verankert, die den Kampfsport in einem falschen Licht darstellen. Es geht nicht immer nur ums Eins-gegen-Eins im Ring, vielmehr spielen einige sportmotorische Fähigkeiten eine wichtige Rolle, die auch für Kinder und Jugendliche einen wertvollen Impact auf deren Entwicklung haben können.

Wie bist du eigentlich zum Kickboxen gekommen?
Yael Yvon: Als ich 12 Jahre alt war, hat mich mein älterer Bruder zu sich nach London eingeladen. Er hat hobbymäßig geboxt und hat mich dann auf eine Privatstunde bei seinem Trainer eingeladen. Es hat mir extrem viel Spaß gemacht, auch wenn ich mir kurz davor den Fuß gebrochen hatte – ich konnte das Training aber erfolgreich durchziehen. Dann ist das alles ein bisschen in Vergessenheit geraten und mit 15 Jahren ist mir das von heute auf morgen wieder eingefallen. Meine Mutter ist dann mit mir in ein Gym im 3. Bezirk in Wien gegangen. Da habe ich dann meine ersten Eindrücke im Kickboxen gesammelt. Für mich war es der perfekte Sport, ich habe mich extrem leichtgetan.

Wie hat deine Mama darauf reagiert? Ich kann mir vorstellen, dass sich die Begeisterung in Grenzen gehalten hat?
Yvon: Sie war verständlicherweise sehr vorsichtig und skeptisch. Sie wollte sich das einfach mit mir anschauen. Das Umfeld war natürlich ein sehr wichtiger Faktor, aber das hat gleich super gepasst. Ich habe dann einen 10er Block bekommen und konnte meine ersten Trainingseinheiten absolvieren. Mama hat es zwar nicht nachvollziehen können, aber hat meinen Weg dann bedingungslos unterstützt.

Was ist deine Faszination am Kickboxen?
Yvon: Das ist schwierig, aber es macht einfach Spaß. Du spürst deine Kraft, deine Entwicklungen und die schnelleren Reaktionen, die sich durch das Training formen. Nicht zuletzt ist es immer die Herausforderung, die dich vorantreibt. Für mich ist das Gefühl entscheidend. Als ich begonnen habe, hatte ich in der Pubertät eine schwierige Phase, beim Kickboxen konnte ich alles rauslassen – das hat mich super reguliert. Es ist zwar immer spannend sich im Eins-gegen-Eins zu messen, aber es hat prinzipiell mit dem Gegenüber nichts zu tun. Natürlich will man gewinnen, aber Kickboxen verbindet so viele Dinge wie Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer, Koordination und Taktik – es ist alles dabei, was wichtig ist.

Kickboxen hat oftmals mit dem klassischen Klischee zu kämpfen, da viele Leute einfach brutale Bilder im Kopf haben. Was entgegnest du dem?
Yvon: Es ist sicherlich schon besser geworden, aber noch nicht optimal. In Österreich ist unsere Sportart noch nicht so bekannt und etabliert, wie das in anderen Ländern der Fall ist. Bei uns steigen die Jugendlichen meistens erst zwischen 12 und 15 Jahren in den Ring, in anderen Ländern passiert das schon mit 5 Jahren. Somit haben sie mit 18 Jahren meistens schon einen Vorsprung, da sie bereits ca. 200 Kämpfe absolvieren konnten. Dort ist das normal, bei uns haben viele Menschen Berührungsängste, weil sie nicht im Thema sind. Im täglichen Training sind Schlagtechniken mit Polstern ein wichtiger Bestandteil – es gehört mehr dazu, wie nur das Kämpfen. Das klassische Sparring, wo ein Kampf simuliert wird, nimmt nur einen kleinen Part ein. Ganz wichtig ist, dass der Respekt und die Disziplin großgeschrieben werden. Das zieht sich bei uns allen durch.

Wenn die von dir beschriebenen motorischen Fähigkeiten heranzieht, stellt sich die Frage: Kickboxen kann ja Kindern auch sehr viel bringen?
Yvon: Ich halte da grundsätzlich sehr viel davon, man muss nur schauen, wie man es macht. In Thailand stehen 5-jährige Kinder ohne Helm und Schoner im Ring – das passt nicht. Die Gesundheit ist das wichtigste Gut, darauf müssen wir immer schauen – vor allem bei den Kindern und Jugendlichen. Da gehört die Schutzausrüstung dazu und Schläge auf den Kopf, auch wenn es im Training ist, haben da nichts verloren. Aus sportmotorischer Sicht können Kinder sehr viel profitieren. Es gibt einen gewissen Altersbereich, in dem man beispielsweise am besten die Schnelligkeit trainieren kann. Wenn man das dann besonders gut macht, schafft man sich eine wertvolle Basis für die Zukunft. Das kann dann später nicht mehr aufgeholt werden. Ich bin eine große Befürworterin, dass man ihnen da sehr viel für die Zukunft mit aus dem Weg geben soll. Aber auch der gesellschaftliche Aspekt spielt eine große Rolle. Respekt und Disziplin sind auch im Alltag sehr wichtig!

Hat sich dein persönlicher Ansatz – seit du selbst Mama bist – zum Sport verändert?
Yvon: Logisch, hat sich das verändert. Früher habe ich alles dem Sport untergeordnet. Ich habe in der Gastronomie gearbeitet und mir meine Arbeitszeiten so eingeteilt, dass ich zweimal am Tag trainieren konnte. Das geht jetzt nicht mehr. Jetzt muss ich für ein stabiles Einkommen sorgen, habe geregelte Arbeitszeiten im Büro. Der Sport steht nicht mehr an erster Stelle. Zuerst kommen das Kind und die Familie sowie die Gesundheit, dann erst das Kickboxen. Mein Partner ist auch Kickboxer im Nationalteam und leitet ein Gym, daher ist die Planung noch einmal herausfordernder und bedarf einer guten Abstimmung. Aber wir haben jetzt beide nicht nur Verantwortung für uns selbst, sondern vor allem für unseren Sohn. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst und reduzieren das Verletzungsrisiko und die Gefahren so gut es geht. Daher gibt es auch einige Momente, die zwar einen Reiz für uns haben, aber in der Praxis nicht mehr in Frage kommen. Sollte sich unser Sohn einmal fürs Kickboxen interessieren, bekommt er die ganze Unterstützung – entscheidet er sich für eine andere Sportart, ist das genauso.

Du hast ja sicherlich schon viel erlebt. Was war bislang dein Karriere-Highlight?
Yvon: Da gibt es zwei Momente, die mir in Erinnerung geblieben sind. 2012 bin ich Junioren-Europameisterin geworden. 2019 habe ich dann Bronze bei der Weltmeisterschaft in der Allgemeinen Klasse geholt. Aber es gibt einen Sieg in meiner Karriere, der mir noch eine Spur mehr bedeutet. In Wien gibt es seit längerem eine internationale Kampfserie, die Vandetta Fight Night. Dort habe ich vor vielen Jahren gegen eine Deutsche um den Veranstaltungstitel gekämpft. Ich wurde von vielen bereits im Vorfeld abgeschrieben, die meine Gegnerin eine richtig große Nummer war. Ich habe den Kampf dann gemacht und habe die ersten 4 Runden gut überstanden. Dann hat mein Trainer gesagt, ich müsse in der entscheidenden Runde alles raushauen. Das habe ich gemacht, ich habe dann aber aus dem letzten Loch geblasen. Die Runde ging an mich und überraschenderweise hat der Punkterichter ein Unentschieden verlautbart – somit ging es noch einmal 3 Minuten in einer Extrarunde. Ich habe um mein Leben gekämpft und am Ende gewonnen. Den Sieg habe ich mit der letzten Kraft und mit jeder Faser meines Körpers hart verdient. Ich habe es mir, aber auch allen anderen gezeigt, dass immer alles möglich ist – man muss nur daran glauben. Ich habe keine Ahnung wie ich es geschafft habe, aber in der Schlussphase des Kampfes konnte ich voll aufdrehen.

Welche Ziele stehen bei dir noch am Zettel?
Yvon: Seit mein Kleiner da ist, habe ich wenig gekämpft. Ich kämpfe nur, wenn ich optimal vorbereitet bin – das ist mein Credo. Halbherzig steige ich in keinen Ring, da tu ich mir keinen Gefallen. Im Endeffekt will ich mir dann nichts vorwerfen müssen. Mit der Eingewöhnungszeit im Kindergarten und einigen ‚kleinen Krankenständen‘ meines Kindes hat das der Rahmen in den letzten Wochen nicht hergegeben. Aber ich möchte wieder auf internationale Turniere fahren und vielleicht geht sich im Herbst die Weltmeisterschaft aus. Es wird aber von der Vorbereitung abhängen, ob es zu einem Thema wird.

Ist eigentlich eine Teilnahme bei den Sport Austria Finals powered by Holding Graz ein Thema?
Yvon: Zuerst einmal muss ich sagen, es ist eine extrem coole Veranstaltung. Meine Kolleginnen und Kollegen, die in den letzten beiden Jahren teilgenommen haben, haben richtig geschwärmt. Ich hatte ebenfalls eine Teilnahme geplant, aber kurzfristig wurden Nennungen zurückgezogen und ich stand ohne Gegnerin da – sehr schade! Ich vertrete die Meinung, dass man viel an Erfahrung gewinnen kann und es für die Entwicklung gut ist. Ich habe damals auch als unerfahrenere Athletin begonnen. Solange es gesundheitlich nicht gefährlich ist, sollte man jede Chance in Angriff nehmen. Vor vielen Jahren habe ich an einem Turnier teilgenommen, wo drei Kämpfe geplant waren. Bei einem Kampf habe ich von meinem Trainer keine Freigabe bekommen – das habe ich respektiert, die Gesundheit steht über allem. Ich hätte gegen eine Athletin antreten müssen, die schon über 100 Kämpfe absolviert hat und Profiboxerin war. Da war das Risiko zu groß. In den verbleibenden beiden Kämpfen habe ich einen gewonnen, einen verloren. Man muss klein anfangen, um großes zu erreichen. Stella Hemetsberger (Anm.: Goldmedaillengewinnern bei den World Games) ist da ein super Beispiel. Sie ist damals auch unerfahren mit mir in den Ring gestiegen, hat auch verloren – aber sie hat nun ihren Weg gemacht, und den sehr erfolgreich.

Mit Familie, Kind und Sport ist der Terminkalender wohl schon ziemlich voll. Bleibt da noch Zeit für dich?
Yvon: Wenig, aber das passt so. Ich bin immer wieder gerne im Gym, da geht es dann nur um mich. Aber am besten kann ich bei meiner Oma abschalten. Die wohnt in einem Ort mit maximal 200 Einwohnern, da war ich als Kind oft. Da habe ich immer das Gefühl, dass ich komplett bei mir bin. Da lenkt mich nichts ab. Da habe ich ebenfalls viele schöne Erinnerung – es ist ein Leben in der Natur, ohne Störgeräusche. Ich mag das und genieße dort immer meine Zeit.

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.

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