Ein Leben ohne Rennrodel kann man sich bei Gerald Kammerlander eigentlich gar nicht vorstellen.
Der 40-jährige Tiroler ist schon seit mehr als drei Jahrzehnten mit dem Rodelsport verhaftet, feierte als Aktiver große Erfolge und nun seit zehn Jahren auch als Sportdirektor des Rodelverbands.
Im großen Interview spricht Kammerlander über die Entwicklung des Rodelsports, die Unterschiede zum Kunstbahnrodeln und die großen Visionen des Verbandes.
Gerald, kannst du dich noch erinnern, wann du das erste Mal mit Rodeln in Berührung gekommen bist?
Gerald Kammerlander: Das erste Mal mit Rodeln in Berührung gekommen bin ich mit sieben oder acht Jahren. Das war ein Ministranten-Rennen, so etwas hat es früher noch gegeben. (lacht) Danach bin ich zum örtlichen Verein gegangen und habe die ersten nationalen, später dann die ersten internationalen Rennen bestritten. Das war dann aber schon im Junioren-Alter.
War für dich immer klar, dass du auf der Naturbahn und nicht auf der Kunstbahn fahren wirst?
Kammerlander: Es hat sich für mich anfangs nie die Frage gestellt, weil der Eiskanal in Igls einfach zu weit weg war. Im Juniorenbereich hab‘ ich es dann probiert, bin aber bei der Naturbahn geblieben, weil ich es spannender gefunden hab‘. Diesen Schritt hab‘ ich auch nie bereut.
Für mich fühlt es sich so an, als wären es zwei verschiedene Sportarten: Gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Naturbahn und Kunstbahn?
Kammerlander: Prinzipiell ist beides Rodeln und auch die Sportgeräte sind Rodeln – auch wenn sie komplett unterschiedlich aussehen. Die Kunstbahn hat sich in Richtung Formel 1 entwickelt: Hochtechnisch und extrem Start-lastig. Im Eiskanal bin ich dann relativ Material-abhängig. Als Fahrer kann ich da weniger beitragen als auf der Naturbahn. Die Naturbahn ist für mich der Rallye-Sport. Als Fahrer hast du durch die Brems-Manöver und das Risiko mehr Einfluss, auf das Geschehen einzugreifen. Das ist aber gar nicht abwertend gegenüber der Kunstbahn gemeint.k
Was macht für dich die Faszination Naturbahnrodeln aus?
Kammerlander: Dass es ein spektakulärer Sport ist, wo ich auf der Rennstrecke immer die Möglichkeit hab‘, noch etwas zu meinen Gunsten zu drehen. Es ist ein enorm spannender Sport!
War es dann auch irgendwie klar, dass du nach deiner aktiven Karriere dem Sport erhalten bleibst?
Kammerlander: Dass ich in die Funktionärs-Ebene wechsle, war mir nicht ganz so klar. (lacht) Das war eher ein Zufall. Der damalige Sportdirektor ist schwer verunfallt und ich bin dann reingerutscht. Ursprünglich war ich als Trainer vorgesehen. Mittlerweile bin ich sehr froh, dass es so gekommen ist.
Was hat sich im Naturbahnrodeln in den vergangenen 10 Jahren alles verändert? Oder ist der Sport im Grunde gleichgeblieben?
Kammerlander: Es hat sich sehr wohl einiges verändert. Wir stehen international viel besser da und haben gute TV-Produktionen. Auch das Niveau ist höher geworden, da mehr Nationen teilnehmen. Als ich aufgehört hab‘, gab es circa elf, zwölf Nationen. Mittlerweile mischen 22 bis 25 Nationen mit. National haben wir starke Anstrengungen unternommen, um eine starke Jugend aufzubauen. Das ist uns in den vergangenen zehn Jahren gut geglückt.
Sind das auch die größten Projekte, die du vorantreiben willst?
Kammerlander: Ja, das gehört ganz klar zu den strategischen Projekten. Ich bin dazu da, Geldmittel zu lukrieren und eine grobe Richtung vorzugeben. Die Umsetzung liegt dann bei den Vereinen bzw. bei den Landesverbänden. In den vergangenen Jahren haben wir diesbezüglich viel bewegt und können auf die Entwicklung stolz sein. Unter anderem haben wir auch das Rollen-Rodeln etabliert.
Das wir dann bei den Sport Austria Finals powered by Intersport & Holding Graz sehen werden.
Kammerlander: Genau. Wir haben aus Rodeln, das eigentlich eine zeitliche Begrenzung von drei Monaten hatte, eine Ganzjahres-Sportart gemacht. Unser Schwerpunkt liegt dabei auf den Kindern, die über das Rollen-Rodeln gescoutet werden und hier die ersten Erfahrungen machen.
Ist Naturbahnrodeln nicht ein sehr gefährlicher Sport?
Kammerlander: Nein, gar nicht. Es gibt dazu auch zahlreiche Statistiken. Die meisten Verletzungen, die bei uns passieren, sind Knöchelbrüche. Die sind natürlich auch nicht angenehm, aber keine Verletzungen, die nicht wieder heilen würden. Statistisch liegen wir absolut im Bereich eines sicheren Sports.
Wie schwer ist es, wenn man gefühlt immer etwas im Schatten der Kunstbahn-Kollegen steht?
Kammerlander: Wir leben sehr gut damit. Jeder hat bei uns die Möglichkeit, auf die Kunstbahn zu wechseln. Man betreibt einen Sport ja meistens nicht aus Motiven wie Aufmerksamkeit oder Geld – das macht man aus Idealismus! Insofern freuen wir uns immer mit, wenn die Kunstbahn Erfolge feiert. Wir partizipieren auch davon, denn wenn es dem Verband gut geht, geht es uns auch gut. Drum drücken wir die Daumen und sind nicht neidisch.
Dein Bruder hängt jetzt doch noch ein Jahr dran: Wie sehr hast du ihn bekniet, damit er noch weitermacht?
Kammerlander: Ich hab‘ mir eines immer geschworen: Ich werde nie irgendjemanden überreden! Es war ganz alleine seine Entscheidung. Auch wenn ich natürlich gehofft hab‘, dass er noch ein Jahr weitermacht. Wir brauchen noch ein bisschen, bis unsere Youngsters das gewünschte Niveau erreichen. Da hilft jedes Jahr, wo unsere Zugpferde noch da sind.
Graut dir aber auch ein bisschen davor, wenn Thomas nicht mehr aktiv ist?
Kammerlander: Nein, eigentlich nicht. Es ist einfach der Lauf der Zeit. Er hat jetzt ein Alter erreicht, wo man im semi-professionellen Bereich Überlegungen anstellen muss. Er ist auch Vater geworden. Mein Ziel ist es, ihn im Rodelsport zu halten – ob als Trainer oder Funktionär wird man noch sehen.
In wenigen Wochen beginnt die zweite Auflage der Sport Austria Finals powered by Intersport & Holding Graz. Bei der Premiere 2021 seid ihr ja nicht dabei gewesen …
Kammerlander: Das stimmt. Es gab Gespräche, aber es war dann auch aufgrund der Genehmigungen etwas zu kurzfristig. Corona war damals doch noch ein starkes Thema. Umso mehr freue ich mich, dass wir jetzt dabei sind.
Was sind die Erwartungen für 2022?
Kammerlander: Es wird auf jeden Fall ziemlich spektakulär werden! Leider bin ich noch nicht ortskundig, aber der Schlossberg verspricht viel Action. Die Strecke ist steil und spektakulär, das Ambiente sagenhaft. Wir wollen diese Chance als Sportart nutzen und den Zuschauern einiges bieten.
Wir danken sehr herzlich für das Gespräch!